Eine unverzagte Seele

Impuls für den Tag

Tagesevangelium

Mt 7, 1-5

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!

Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden, und nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden.

Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?

Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und dabei steckt in deinem Auge ein Balken?

Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.


Jesus warnt uns davor zu „richten“. Wir begehen heute den Gedenktag von zwei Heiligen, die nicht nur gerichtet sondern 1535 hingerichtet wurden: John Fisher und Thomas More. Beide hatten sich aus Gewissensgründen geweigert, den Eid auf den englischen König Henry VIII als Oberhaupt der Kirche in England zu leisten, zu dem er sich kurz zuvor erklärt hatte. Beide waren dem König eigentlich eng verbunden: John Fisher, Bischof von Rochester und Dekan der Universität Cambridge war der Erzieher des Königs gewesen, Thomas More sein Regierungschef, der Lordkanzler, und wohl auch persönlicher Freund.

Thomas More war damals und heute der bekanntere der beiden: als einer der berühmtesten Humanisten seiner Zeit, als enger Freund des Erasmus von Rotterdam, als völlig integrer, unbestechlicher Politiker, als Autor unter anderem der Beschreibung des Idealstaates „Utopia“, der wir den Begriff Utopie verdanken. Papst Johannes Paul II erklärte ihn im Jahr 2000 zum Patron der Regierenden und Politiker.

Das „Richten“, um das es Jesus geht, meint aber nicht in erster Linie das politische oder juristische Richten sondern das Sich-Erheben über andere wegen ihrer (angeblichen) Verfehlungen. Das Ereifern, die Empörung und das Skandalisieren sind gerade heute ein Grundzug der Mediengesellschaft, die die Wahrnehmung von Details und damit der Realität oft verhindern. Wozu auch, wir stehen ja auf der richtigen Seite. Und auch im Alltag nimmt das Schimpfen auf andere oft großen Raum in Gesprächen ein. In Gen 3,5 wird als die Grundversuchung des Menschen beschrieben, dass er wie Gott sein und Gut und Böse erkennen will. Diese Ursünde geschieht in jedem Richten neu.

Also nicht mehr kritisieren, was falsch läuft? Doch, auch Jesus hat uns an anderen Stellen oft anderes gesagt. Aber zwei Dinge sind dabei wichtig. Zum ersten: Wir haben einen blinden Fleck in unserem Sehfeld, dort wo das Bild auf unserer Netzhaut auf den Sehnerv fällt. Der größte blinde Fleck in unserer Weltsicht sind wir selbst. Denn wir sehen uns selbst nicht. Deshalb brauchen wir die Kritik der anderen und müssen sie sogar suchen.

Zum Zweiten: Thomas More hat oft aus den Werken des Kirchenvaters Augustinus zitiert. Dieser hat auch dieses Thema präzise auf den Punkt gebracht: Wir sollen „die Sünde hassen und den Sünder lieben.“ Wie Gott den Sünder liebend anschauen, welche Herausforderung, aber vor allem welcher Trost, welche Befreiung und Heilung, welche Verheißung, Hoffnung, Zuversicht und Ermutigung, stets neu zu beginnen.

Zum Glück müssen wir dazu nie so heroisch sein wie die Heiligen des heutigen Tages. Das sah aber auch Thomas More so, wie ein Gebet von ihm zeigt, das auch in unserem Gotteslob enthalten ist.

Schenke mir eine gute Verdauung, Herr,
Und auch etwas zum Verdauen.
Schenke mir Gesundheit des Leibes
mit dem nötigen Sinn dafür,
ihn möglichst gut zu erhalten.

Schenke mir eine heilige Seele, Herr,
die im Auge behält, was gut und rein ist,
damit sie sich nicht einschüchtern lässt vom Bösen,
sondern Mittel findet,
die Dinge in Ordnung zu bringen.

Schenke mir eine Seele,
der die Langeweile fremd ist, die kein Murren kennt
und kein Seufzen und Klagen,
und lasse nicht zu,
dass ich mir allzuviel Sorgen mache
um dieses sich breit machende Etwas,
das sich „Ich“ nennt.

Herr, schenke mir Sinn für Humor.
Gib mir die Gnade,
einen Scherz zu verstehen,
damit ich ein wenig Glück kenne im Leben
und anderen davon mitteile.