Der Karsamstag ist ein stiller Tag, ohne liturgische Feier. Nur die Tagzeiten werden gebetet. So heißt es im Schott-Messbuch. Nach dem Karfreitag, nach Kreuz und Leid heißt es: Stille und Leere aushalten, am Grab stehen und Trauer zulassen – die Trauer, dass da jemand fehlt, dass etwas fehlt, dass nichts mehr so sein wird wie es vorher war … Vielleicht so, wie es Luise Rinser in ihrem Buch „Miriam“ schreibt:
„Ich konnte keinen Schlaf mehr finden. Wenn ich wenigstens zum Grab gehen könnte. Aber die Wachsoldaten. Oder nach Golgotha, der Blutspur nach. Oder zu Josef, oder zu Nikodemus. Irgendwohin. Was tun mit dem ganzen langen Schabbat. Ich saß so da und dachte nichts als: Er ist fort. Er ist tot. Fort und tot. Su jung noch. Und schön. Und jetzt beginnt dann die Verwesung. Wenn ich doch mein letztes Fläschchen von dem Königsöl über ihn hätte ausgießen könne, über sein Gesicht, so blutig war, das eine Auge verletzt und verklebt nie mehr werde ich dieses Gesicht sehen. So versunken in meine Trauerqual war ich, dass es mir kein Trost war zu denken: Er hat gesagt, drei Tage, dann das Wiedersehen. Nein, nein, das hatte er nicht wörtlich gemeint. Drei Tage, wie lang war das für ihn? Zähl nicht nach Tagen, Mirjam, zähl wie ich in Aionen. Und das Wiedersehen: wo denn, wie denn. Nein das war alles kein Balken, an dem ich mich halten konnte. Nach und nach wachten alle auf. Veronika brachte uns das vorbereitete Schabbatmahl. Man aß aus Höflichkeit, ein paar Bissen. Schimon schlief und war nicht zu wecken. Jeschuas Mutter sagte: Jochanan, bete alle Psalmen, die du im Gedächtnis hast. So begann er von Anfang: Selig der Mann, der nicht im Rat der Gottlosen wandelt … Wenn er nicht mehr weiterwusste, sprang einer von uns ein. So beteten und beteten wir, und der Tag nahm kein Ende, und das Gebet war kein Trost. Ein Trost aus Blei. Wieso sprach niemand unter uns von Wiedersehen und Wiederkommen? Niemand von Zukunft? Nicht vom morgigen Tag, nicht davon, was nun weiter aus uns würde? Die Zeit war mit dem Messer durchgeschnitten. Konnte überhaupt noch Zeit sein? Hat ER nicht alles mit sich genommen, was uns zu gehören schien? Auch das Licht war fort, es war gewittrig und dunkel. Dieser Tag war schlimmer als der Vorhergehende. Da war Aufregung gewesen, da geschah etwas. Schlimmes und Entsetzliches, aber es bewegte sich etwas. Jetzt aber: wir saßen wie Schatten in der Unterwelt, und als es draußen vollends dunkel wurde, schliefen wir wieder ein. Was sonst konnten wir tun. Später dachte ich im Zurückerinnern: so lebt man im Schattenreich, wie Sonne nie scheint. Noch später dachte ich: so lebt man ohne ihn.“
Dennoch hat Mirjam / Maria sich aufgemacht, nach kurzem Schlaf, sich aufgemacht, trotz der bleiernen Schwere der Trauer. Sie hat sich zum Grab aufgemacht – und sie hat Ihn wiedergefunden. So wie in fast jedem Psalm aus der Klage und aus Verlorenheit (aus Not und Trauer) Vertrauen wächst, und mit dem Vertrauen Dank und Lob:
Psalm 13
Klage und Vertrauen in großer Not – Für den Chormeister. Ein Psalm Davids.
Wie lange noch, HERR, vergisst du mich ganz?
Wie lange noch verbirgst du dein Angesicht vor mir?
Wie lange noch muss ich Sorgen tragen in meiner Seele,
Kummer in meinem Herzen Tag für Tag?
Wie lange noch darf mein Feind sich über mich erheben?
Blick doch her, gib mir Antwort, HERR, mein Gott,
erleuchte meine Augen, damit ich nicht im Tod entschlafe,
damit mein Feind nicht sagen kann:
Ich habe ihn überwältigt, damit meine Gegner nicht jubeln,
weil ich wanke!
Ich aber habe auf deine Güte vertraut,
mein Herz soll über deine Hilfe jubeln.
Singen will ich dem HERRN, weil er mir Gutes getan hat.
