Für viele Menschen gibt es eine überraschende Erfahrung in diesen Coronatagen. Weil weniger Menschen unterwegs sind, weil weniger Verkehr zu Wasser, zu Lande und in der Luft zu bemerken ist, ist plötzlich mehr zu „hören“. Weil der Klangteppich geringer ist, hören wir plötzlich Details und das eben nicht nur, wenn wir Mitternachts noch unterwegs sind, sondern im normalen Alltag. (Auch wenn man nun schon wieder in der Vergangenheitsform reden muss!)
Dabei sind Ruhe und Stille voneinander zu unterscheiden. Ruhe ist ja mehr als die Abwesenheit von Tönen und Lauten. Ruhe ist eine Atmosphäre, in der wir entspannen, zu uns kommen und unsere Energien aufladen können. Das zeigt auch schon die Herkunft des Wortes aus dem Germanischen: rowo, welches sich wiederum vom indogermanischen Wort era ableitet. Und era bedeutet so viel wie „ruhen lassen“. Stille ist aber womöglich die Voraussetzung für diese Form der Ruhe. Vieles hören wir derzeit, was die Wahrnehmung schult und schärft. Und hoffentlich zum Eigentlichen und Wesentlichen führt.
Der holländische Autor Henri Nouwen schrieb ein Erfolgsbuch mit dem Titel Ich hörte auf die Stille. Es handelt sich um tagebuchartige Aufzeichnungen über seinen siebenmonatigen Aufenthalt in einem Trappistenkloster. Die Trappisten sind Mönche, die sich dem strengen Stillschweigen verschrieben haben um ganz ins Hören zu kommen. Im Nachwort zieht Henri Nouwen Bilanz und schreibt: „Ich fand mich mit dem gegenwärtigen Zustand meines Herzens und meines Geistes konfrontiert. Vielleicht hatte die größte und versteckteste meiner Illusionen darin bestanden, dass ich nach sieben Monaten Trappistenleben ein anderer Mensch sein würde, ganzheitlicher, spiritueller, tugendhafter, mitfühlender, gütiger, froher und verständnisvoller. Irgendwie hatte ich erwartet, dass sich meine Rastlosigkeit in Ruhe, meine Spannungen in einen friedvollen Lebensstil und meine vielen Unklarheiten und Unentschiedenheiten in eine lautere Hingabe an Gott verwandeln würden. Nichts von diesen Erfolgen, Ergebnissen oder Errungenschaften ist zustande gekommen … Meine Freunde und Bekannten, die mich bei meiner Rückkehr willkommen hießen, erwarteten einen anderen, einen besseren Menschen. Und ich hatte sie nicht enttäuschen wollen. Aber ich hätte es besser wissen müssen.“ Ich wünsche Ihnen in den kommenden Geisterfüllten Tagen Momente des zur Ruhe Kommens.
