Amen, amen, ich sage euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus; aber sie verstanden nicht den Sinn dessen, was er ihnen gesagt hatte. Weiter sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.
Joh 10,1–10
Jesus als Hirt einer Schafherde. Ein schönes und wohlvertrautes Bild. Vielleicht stört uns ein bisschen daran, dass wir von Schafen im Blick auf ihre Intelligenz nicht das Beste denken. Eine schnelle Suche im Internet ergibt, dass Schafe alles andere als dumm sind. Sie sind Herdentiere und unterstützen sich gegenseitig. Sie sind in der Lage gemeinsam Probleme zu lösen, sich Dinge zu merken, in der Gruppe das eigene Überleben sicherzustellen. Sie erkennen, wohin und zu wem sie gehören. Sie erkennen auch, wann sie verloren sind und auf die Hilfe des Hirten oder der anderen Schafe angewiesen sind.
Die Schafe sind im Evangelium nicht nur ein Sinnbild für uns, die versuchen Jesus nachzufolgen. Durch das Schaf als Lamm wird auch Christus selbst durch Johannes symbolisiert. Der Hirte ist selbst ein innigster Bestandteil seiner Herde. Christus einerseits als schützender und richtungsweisender Hirte, anderseits als verletzliches, schützenswertes Lamm.
Wie auch immer wir die Schafe einschätzen: zuletzt bleibt das positive Bild eines aufmerksamen Schäfers und seiner Herde. Ein Hirte, der in der Lage ist, Richtungen zu weisen und zu beschützen und der neben dem Blick fürs Ganze den einzelnen nicht vergisst. Dazu braucht es Beziehung und Vertrauen zwischen Hirte und Herde und innerhalb der Herde. Ich glaube, diese Voraussetzungen allein sind schon ein anziehendes Merkmal, das einen Außenstehenden dazu bringen kann, dazugehören zu wollen: eine Gemeinschaft, die Anteil nimmt und Anteil gibt.
Wenn man das Evangelium im größeren Zusammenhang betrachtet, verliert es schnell diese anheimelnde Stimmung. Jesus hat die Auseinandersetzung mit seinen Kritikern noch im Kopf. Die Auseinandersetzung mit denjenigen, die nicht zu seiner Herde gehören wollen. Mit denjenigen, die ihm Gotteslästerung vorwerfen und die ihn umbringen wollen. Das Gleichnis mit der Schafherde ist Teil einer Verteidigungsrede, um aufzuzeigen wer er ist und mit welcher Botschaft er unterwegs ist. Nicht gewaltsam zwingt er Menschen in seine Nachfolge, sondern dadurch, dass sie in seinen Worten die Wahrheit erkennen. Und wir, die wir zu dieser Herde gehören wollen, sind aufgerufen, die Stimme Jesu zu hören und ihn selbst immer wieder im Nächsten zu entdecken. Dazu braucht es einen Wesenszug, den uns unser Glaube auch nahelegt: Einen Schritt zurückzutreten, eigene Fehler zu erkennen, sich selbst damit zu konfrontieren und miteinander als Herde neue und bessere Wege zu finden. Das ist meistens die größere Herausforderung. Weil es immer einfacher scheint, darauf zu hoffen, dass Gras über die Dinge wächst und sie irgendwann in Vergessenheit geraten.
Im Leben braucht es gelingende Gemeinschaften in denen es möglich ist, sich über Erfolge zu freuen – und Fehler zur Sprache bringen zu können, umkehren zu dürfen. Dann können das Vertrauen und die Geborgenheit entstehen, von der das heutige Evangelium berichtet. Eine Geborgenheit aus der man nicht herausfallen kann.

Herbert Ebert